Das Milleniumdilemma

Vor kurzem war es wieder so weit, ein neues Jahrtausend brach an, ob wir nun vorbereitet waren oder nicht. Mit jedem Tag, der sich gnadenlos unaufhaltsam Richtung 2000 bewegte, wuchs nicht nur unsere Vorfreude auf dieses nicht alltägliche Ereignis, sondern auch die innere Unruhe, uns auch mit den richtigen VIP-Partykarten bestückt zu haben. Dieses Datum verlangte förmlich etwas Besonderes von uns - oder eher umgekehrt?

Die Erwartungen an das neue Jahrtausend waren sehr hoch. Und je höher die Erwartungshaltungen der Menschen sind, desto tiefer tun sich die Abgründe menschlicher Dummheit auf. Nicht die kleinste Naturkatastrophe, wie sie Zukunftspessimisten und Sektengestörte ungeduldig herbeisehnten, traf ein, nicht einmal eine vorprogrammierte Milleniumkatastrophe à la Homo Sapiens. Man denke nur an abschmierende Rechner in maroden russischen Raketenabschussbasen, welche einen farbenfrohen Beitrag zum 2000-Feuerwerk zur Folge gehabt hätten.

Nun, irgendein besonderes Ereignis musste einfach her. Bei knapper Partykasse, griff man deshalb gerne auf kostengünstige Events zurück. Das hausgemachte Milleniumbaby. Auf die Sekunde genau wurde das Ungeborene per Kaiserschnitt oder Chemokeule von geistig bedenklich einzustufenden Liebespärchen aus dem Mutterleib geprügelt. Denn es mußte auf Anhieb klappen, weil nur wenige eine zweite Chance bekommen werden.

Es war schon ein Dilemma mit dem Millenium. Sollte man in die Luft gehen und den Jahrtausendwechsel im Fluge, entlang der Mitternachtslinie, wie einen Superorgasmus in die Länge ziehen, oder lieber horrende Summen für Partys mit hohem Floppfaktor auf den Tisch legen? Die krampfhafte Suche nach der richtigen Silvesterbeschäftigung mündete wahrscheinlich bei vielen in einem resignierenden Alkoholdilirium. Dagegen ist prinzipiell nichts auszusetzen. Peinlich wurde es nur, wenn man am 2. Januar sein Bewußtsein zurückerlangte und fragte: „Wie lange noch bis Mitternacht?“.

Zugegeben, ich habe auch schon zu Silvester über die Stränge geschlagen. Ich kann mich noch gut an eine Silvesternacht erinnern, in der ich mit einigen Mitstreitern, mir heute unerklärlich, in einem Hotelfahrstuhl auf Fuerte eine Spontanparty ins Leben gerufen habe. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Auf jeden Fall beneidete ich zum Jahrtausendwechsel diejenigen, die bei angenehmen Temperaturen krampfhaft überlegen mussten, wo sie den Champagner kaltstellen können. Also, wenn mich bei meinem nächsten Fuerteaufenthalt ein sonnengedörrter Fuertianer fragen sollte, wie der Jahrtausendwechsel in Berlin so war, werde ich antworten: kalt. In Berlin, meinem Ganz-Jahres-Schlecht-Wetter-Wohnsitz (abgesehen von kurzen aber angenehmen Fuerteventura-Visiten) war jedenfalls die Hölle los. Ich persönlich habe mich vor dem 31.12. mit Massageöl und romantischen Frauenartikeln, wie Kerzen, Wein und Leckereien eingedeckt, und bin in friedlicher Zweisamkeit ins zweite Jahrtausend geglitten. Wie jedes Jahr beteiligte ich mich nicht am vorweihnachtlichen Einkaufsmassaker wo man, aber nur wenn die Zeit dazu da ist, noch schnell im Fremdwörterbuch unter „Nächstenliebe“ nachblättert. Auch verzichtete ich zum Jahreswechsel auf Vorsatzgelübden, die die Dauer einer Eintagsfliege besitzen.

An einem guten Vorsatz hielt ich jedoch wie jedes Jahr eisern fest, nämlich in dem neu angebrochenen Jahr Fuerteventura einen Besuch abzustatten. Bis zum nächsten Mal auf oder „in“ Fuerte!