Möchte man die Bewegung eines Teilchens im Gravitationsfeld oder irgend einem anderen Feld beschreiben, benötigt man zwei Gleichungssysteme.
Das erste Gleichungssystem beschreibt die Kurve des Teilchens im vierdimensionalen Kontinuum. Das zweite Gleichungssystem beschreibt das Feld selbst, in welchem das Teilchen umherschwirrt. Ohne die Feldgleichungen kann man ja logischerweise auch nichts über die Bewegung
des Teilchens in dem Feld selbst aussagen. Wir beschäftigen uns zunächst mit dem
ersten Fall. Zur Lösung des Problems benötigen wir noch ein elementares
Naturprinzip, welches man ein wenig abfällig als das Faulheitsprinzip der Natur
bezeichnen kann. Ich möchte dazu etwas unwissenschaftlich ausholen, um ein wenig an Anschaulichkeit zu gewinnen. Stellen
Sie sich vor, Sie möchten die Bushaltestelle E erreichen, die sich genau gegenüber auf der anderen Straßenseite
befindet. Für eine legale überquerung der Straße müssten Sie zur nächsten
Ampel gehen, die aber ziemlich weit von unserem Standpunkt A entfernt ist.
Was tun? Wir wählen natürlich illegalerweise (Kinder, macht dies auf eurem
Schulweg bloß nicht nach) den direkten Weg über die Straße und nicht den
gesetzestreuen über die Ampel. Das ist ein grundlegendes Naturprinzip, welches
wir uns zu Nutze machen wollen. Den mathematischen Mantel, den wir
uns anziehen müssen, um die Bewegungsgleichungen für ein Teilchen oder Körper
im Gravitationsfeld mit Hilfe dieses Naturprinzips zu finden, ist leider etwas unbequem.
Wir müssen in unsere Betrachtungen die Zeit als fast gleichberechtigte Koordinate mit einbeziehen. Fast, weil im
Zeitanteil des Metriktensor für den ungekrümmten Raum (Diagonal(-1, -1, -1,+1) eben eine +1 und keine -1 steht. Es wird auch jeder sofort einsehen, dass es kompletter Unsinn ist, eine Ortsangabe zu machen, ohne gleichzeitig eine Zeitangabe hinzuzufügen (wer hat
sich schon einmal erfolgreich verabredet, ohne Ort und Zeit vorher festgelegt zu haben?).
Die „Weltlinie“ S kann durch das Integral
beschrieben werden, wobei A der Anfangspunkt (unser Standort auf der Straße) und
E der Endpunkt (die Bushaltestelle) ist. Da diese "Verbindungslinie" minimal
(mathematisch exakter: extremal) sein soll, muss die Variation des Integrals
verschwinden, also
Die Rechnerei, die uns zum Ziel führt, ist ziemlich lästig, aber unvermeidbar.
Wer lieber das Ergebnis untersuchen möchte, schließe jetzt für die nächsten
Zeilen die Augen. Auf geht’s!
mit
Die Einführung des invarianten Kurvenparameters
bleibt zunächst ein Mysterium. Später mehr
zu seiner physikalischen Bedeutung. Die Produktregel ergibt
Dabei haben wir beim Term ganz rechts die Symmetrie des Metriktensors
(Vertauschbarkeit der Indizes) ausgenutzt, welche sich aus der Definition von Omega
ergibt. Da die Anordnung der Koordinatendifferentiale ebenfalls symmetrisch,
d.h. vertauschbar ist, heben sich in der Summe des Metriktensors mit den
Koordinaten-Differentialen eventuell vorhandene antisymmetrische Anteile des
Metriktensors weg. Die spannende Frage ist, ob einem möglichen antisymmetrischen Teil des
Metriktensors, der in der AR aufgrund des Ansatzes für ds ein Schatten-Dasein führt,
eine physikalische Bedeutung zukommt. Die Frage ist bis heute unbeantwortet
geblieben. Den Ausdruck ganz rechts kann man noch etwas umwurschteln.
Nun stopfen wir den Formelkram in das Integral und integrieren partiell
Die eckige Klammer verschwindet, weil die Variationen
der Kurve am Anfangspunkt A und Endpunkt E verschwinden. Wir können zwar den Weg zur Bushaltestelle variieren unser Standort zu Beginn und am Ende ist jedoch für
alle Kurven gleich.
Wir bekommen also
Da das Integral für beliebige Variationen der Kurve gelten soll, muss der Klammerausdruck verschwinden:
Das sind die berühmten Geodätengleichungen, die in dieser Form jedoch
etwas unschön anzusehen sind. Deshalb müssen wir noch ein paar kosmetische
Korrekturen vornehmen. Ausdifferenzieren liefert
Unter Ausnutzung der Symmetrie der Koordinatendifferentiale können wir auch
schreiben. Nun wollen wir noch den Index hochziehen, also
und erhalten mit
(siehe
Tensorrechnung) inklusive Multiplikation mit –1
Nach Einführung der Christoffelsymbole (hier sind sie wieder!)
können wir die Geodäten in ihrer bekannten Form präsentieren:
Das dies die Gleichungen sind, welche die Bewegung eines Körpers im
Gravitationsfeld beschreiben, müssen wir noch zeigen. Doch vorher bin ich Ihnen
noch eine Erklärung schuldig. Im letzten Kapitel habe ich frech behauptet, dass
die Ableitung eines Tensors erster Stufe durch die Gleichung
beschrieben werden kann. Um dies zu beweisen, wandeln wir etwas auf
Einsteins Gedanken-Pfaden (genauer nachzulesen in dem von ihm ganz köstlich
verfassten Aufsatz über „Die Grundlagen der AR“ im Buch „Das Relativitätsprinzip"
herausgegeben von B.G. Teubner). Dazu nutzen wir die Tatsache aus, dass wir
Tensoren auch durch Differentiation gewinnen können. Wir betrachten dazu eine
invariante Funktion, die nur von den Viererkoordinaten abhängt und leiten diese nach dem invarianten Kurvenparameter
ab:
Da wir eine Invariante nach einer Invarianten ableiten, ist das Ergebnis
wieder eine Invariante. Der Ausdruck
ist die bekannte Vierergeschwindigkeit
. also ein Tensor erster Stufe. Daraus folgt, dass
auch ein Tensor erster Stufe sein muss, denn nur durch die „skalare
Multiplikation“ zweier Tensoren erster Stufe gelangen wir zu einer Invarianten. Nun leiden, ich meine leiten wir nochmals ab:
Jetzt kommen unsere gefundenen Geodäten im letzten Term zum Einsatz. Nachdem wir die Indizes, über die aufsummiert wird, umbenannt haben,
erhalten wir endlich
Damit ist der Beweis abgeschlossen. Wir haben sogar noch mehr erreicht.
Zum einen hat uns die Rechnerei einen beträchtlichen Teil unserer Nerven
gekostet und zum anderen erkennen wir, dass der Ausdruck in der runden Klammer
ein Tensor zweiter Stufe sein muss. Warum? Durch „Hintereinanderschaltung“
zweier Tensoren erster Stufe, z.B.
gelangt man zu einem Tensor zweiter Stufe. Da der Gesamtausdruck wieder eine
Invariante sein muss, folgt, dass
auch ein Tensor zweiter Stufe ist, der durch skalare Multiplikation mit
dem Tensor zweiter Stufe
eine Invarianten bildet. Kommen wir endlich wieder zu ein bisschen Physik. Wir wollen die Geodäten
etwas genauer unter die Lupe nehmen. Nehmen wir an, die Christoffelsymbole
verschwinden alle, dann bleibt nur noch
übrig. Für die Indizes der Nummerierung 1,2,3 erhalten wir die räumlichen Koordinaten x, y und z, oder kurz
den Ortsvektor
4 entspricht der Zeitkoordinate ct. Kürzen wir die Lichtgeschwindigkeit, erhalten wir
Die Lösung für t zu finden, ist nicht weiter anstrengend: t = a *
+ b oder dt = a * d
, wobei a und b Integrationsonstanten sind. Wir stoßen auf das bemerkenswerte
Ergebnis, dass die Verschiebung dt bis auf eine uninteressante Konstante
mit der Verschiebung d
übereinstimmt (endlich wissen wir mehr über).
Für den Ortsvektor erhalten wir durch Ersetzen von d
durch dt
Diese Gleichung ist nichts weiter als das Newtonsche Kraftgesetz (für die Abwesenheit von äußeren Kräften)
mit einer linearen Lösung in der Zeit, d.h. wir bewegen uns mit konstanter
Geschwindigkeit. Die hier gewonnene Erkenntnis mag etwas langweilig erscheinen.
Sie ist jedoch von existentieller Bedeutung für die AR, denn wenn sich nicht
die gut bestätigten, bekannten Gesetze der Mechanik als Grenz- oder Spezialfall
ergeben, ist die Theorie nicht das elektronische Papier wert, welches auf
dem Browser zu sehen ist. Kommen wir nun zu dem weit aus interessanteren Fall,
dass die Christoffelsymbole nicht verschwinden. Es sollte sich für den Grenzfall
kleiner Geschwindigkeiten und „schwacher“ zeitunabhängiger
Gravitationsfelder (dabei gilt das Gravitationsfeld der Erde schon als
schwach wie wir noch sehen werden) die Newtonsche Näherung
mit dem Gravitationspotential
ergeben. Wir wollen die Punkte unseres weiteren Vorgehens noch einmal festhalten:
- Zeitunabhängige Gravitationspotential
- Kleine Geschwindigkeiten
- Schwache Gravitationsfelder
Zunächst müssen wir untersuchen, was man unter „schwachen Gravitationsfeldern“ verstehen
kann. Wir wissen bereits, wie der Metriktensor in Abwesenheit von
Gravitation aussieht. Wir wollen für diesen Fall:
schreiben. Schwache Gravitationsfelder bedeuten in diesem
Zusammenhang also, dass es nur geringfügige Abweichungen von
geben darf. Wir schreiben für den Metriktensor mit schwachem Gravitationsfeld
Aufgrund schwacher Gravitationsfelder muss gelten z.B. fü r die 44-Komponente gelten:
Für die Ableitung von des Metriktensors gilt damit gilt damit
Kommen wir nun zu Punkt zwei (kleine Geschwindigkeiten).
Dazu müssen wir die Vierergeschwindigkeiten u
µ untersuchen.
Wir wissen bereits aus der Relativistischen Mechanik, dass für kleine Geschwindigkeiten gegenüber der
Lichtgeschwindigkeit, also
u
µ folgendermaßen aussieht (bis auf einen unwesentlichen Vorfaktor)
Das bedeutet für die Geodätengleichung,
dass nur die zeitliche Komponente der Vierergeschwindigkeit zu berücksichtigen ist:
Picken wir uns die zeitliche Komponente der Geodäten-Gleichungen heraus:
Wir müssen als nächstes die Christoffelsymbole genauer unter die Lupe nehmen:
Da
diagonal ist, bleibt nur die 44-Komponente übrig und in Folge dessen verschwinden alle anderen Terme, da wir ja nur zeitunabhängige Felder in Betracht ziehen wollen (wir erinnern uns x
4=ct), also
Die Lösungen für x
4 haben wir weiter oben
schon gefunden (wir setzen einfach die Integrationskonstante 1, was wir
stillschweigend schon weiter oben getan haben. Das ist nicht weiter schlimm,
denn hätten wir sie mitgeschleppt, hätte man sie spätestens jetzt aus der
Geodätengleichung herauskürzen können), also d
=dt. Wenden wir das Herausgefundene auf die räumlichen Komponenten der Geodätengleichung (i = 1,2,3) an, ergibt sich
Und wieder zwingen uns die Christoffelsymbole, ein wenig länger bei ihnen zu verweilen.
Die ersten beiden Terme in der Klammer verschwinden, weil
wir keine Ableitungen des Metriktensors nach der Zeit zulassen. Da nun
diagonal ist, vereinfacht sich der Ausdruck mit i,k = 1,2,3 zu
Man beachte, das es sich bei i nicht mehr um einen Tensorindex handelt! Die drei Raumkomponenten fassen wir zu dem Ortsvektor
zusammen und bekommen endlich
oder
Das ist die Newtonsche Näherung, denn vergleichen wir das Ergebnis mit
finden wir
oder für die 44-Komponente des Metriktensors
Uns bleibt nur noch zu zeigen, dass 2GM/rc
2
wirklich wesentlich kleiner als 1 ist. Betrachten wir dazu die Metrik auf der
Erdoberfläche mit dem folgenden Input:
Erdradius: r = 6378 km
Gravitationskonstante: G = 6,67×10
-11m
3kg
-1 s
-2
Lichtgeschwindigkeit: c = 3×10
8ms
-1
Setzt man alles ein, ergibt sich
g
44 = 1 - 1,4×10
-9
Die Abweichung von der ungekrümmten Metrik, also 1, ist
minimal. Was uns noch fehlt, sind die Gleichungen für das
Gravitationsfeld. Ich kann leider jetzt schon versprechen, dass die Formulierung
der Einsteinschen Feldgleichungen ein größeres Formel-Feuerwerk
verursachen wird, als wir es bisher erlebt haben.